Aufmerksam wurde ich auf den Roman Dschinns durch einen Podcast. Nicole Seifert, selbst Autorin und Übersetzerin, schreibt den Literaturblog Nacht & Tag, schreibt Artikel und schrieb das Buch Frauen Literatur (wobei das Wort Frauen durchgestrichen ist), empfiehlt in diesem Podcast Bücher, die alle eines gemeinsam haben: Sie wurden von Frauen geschrieben. Eine Empfehlung davon war Dschinns und die hat mich neugierig gemacht.
Dschinns, geschrieben von Fatma Aydemirs
Es ist die Geschichte der deutsch-türkischen Familie Yilmaz, von Papa Hüseyin, der vor 30 Jahren nach Deutschland ging, um dort in einer Metallfabrik zu arbeiten, von seiner Frau Emine und den vier Kindern.
Hüseyin erfüllt sich, kurz vor seiner Rente, einen langersehnten Traum: Eine Eigentumswohnung in Istanbul. Eine gute Woche, bevor seine Familie nach kommen soll, um die Wohnung und die nigel nagel neuen Möbel zu begutachten, reist er schonmal in seine alte Heimat, um alles fertig zu machen. Am selben Tag erleidet er einen Herzinfarkt in dieser Wohnung und stirbt kurz darauf.
Statt nun die neue Wohnung von Papa zu besichtigen, reisen Emine und die Kinder an, um ihren Vater zu beerdigen.
Fatma Aydemir stellt uns ein Familienmitglied nach dem anderen vor, schonungslos und ehrlich. Von all deren Wünsche und Träume, Geheimnisse und Sorgen, Niedertracht und Hoffnungen erzählt sie uns, von deren Vergangenheit und von deren möglicher Zukunft.
Sechs grundverschiedene Menschen, die einfach miteinander verwandt sind, die Geschwister, Töchter und Söhne sind, Mutter und Vater, jedes einzelne Familienmitglied erhält ein eigenes Kapitel.
Ümit ist mit seinen 15 Jahren das jüngste Kind und mit der Situation, mit diesen ganzen trauernden Frauen in der fremden Wohnung total überfordert. Ümit vermisst seinen Vater, aber eigentlich hat er gerade ganz andere Sorgen. Er ist verliebt in einen Jungen aus seiner Mannschaft. Und der Therapeut hat ihm gesagt, dass er krank sei.
Peri lebt schon länger in Frankfurt, ist damals geflohen, konnte einfach nicht mehr bleiben. Viel zu früh ist sie an Drogen gekommen. In Frankfurt lernt sie einen jungen Mann kennen, der sie zum ersten Mal auf den Gedanken bringt, einmal ihre Herkunft zu hinterfragen. Früher sprachen ihre Eltern kurdisch, warum tun sie das heute nicht mehr?
Hakan lebt mit seiner Freundin Lea zusammen und arbeitet selbstständig als Gebrauchtwarenhändler. Als er vom Tod seines Vaters hört, setzt er sich ins Auto und donnert damit nach Istanbul. Keine Ahnung, wieviele Red Bull er dabei getrunken hat. Es kommt, wie es kommen muss: Er wird von der Polizei angehalten, steht unter Verdacht Drogen zu nehmen, wird erstmal aus dem Verkehr gezogen und kommt deswegen zu spät zur Beerdigung. Hakan gibt immer allen anderen die Schuld.
Sevda ist die älteste Tochter. Als Hüseyin und Emine nach Deutschland gingen, ließen sie ihre Tochter die ersten Jahre bei den Großeltern zurück und das hat Sevda nie verkraftet. Auch die ersten Jahre in dem fremden Land sind für sie schwer, denn Emine läßt sie nicht auf die Schule gehen. Mit 18 wird das Mädchen verheiratet und kommt ins nächste “Gefängnis”. Ihr Mann erlaubt ihr nicht, den Hauptschulabschluss zu machen. Die beiden bekommen zwei Kinder. Nach einem tragischen Unfall schafft es Sevda endlich, sich von ihm zu trennen und steht fortan auf eigenen Beinen.
Dass sie das überhaupt geschafft hat und dass sie nie Unterstützung von ihrer Mama erhalten hat, das ist Teil des letzten Kapitels, bei dem um Emine geht.
Zum ersten Mal seit Jahren sprechen Mutter und Tochter, wobei Emine weniger spricht als Sevda. Sie nutzt die Chance all ihren Kummer und ihre aufgestaute Wut loszuwerden. Und dann spricht Emine und erzählt Sevda, was vor ihrer Geburt geschah… Verstörend, aber auch aufklärend ist das letzte Kapitel der Familie Yilmaz.
Dieser Roman hat es in sich, ist keine all zu leichte Kost, spielt mit den verschiedenen Personen und auch mit der Sprache. Während in den Eltern Kapitel ein allwissender Erzähler die beiden anspricht, so werden die Kinder Kapitel “normal” erzählt und springen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Und mir hat dieser Roman gut gefallen. Ich glaube, ich habe so eine Art Geschichte noch nie gelesen. Und ich würde ihn jederzeit weiterempfehlen und tue dies nun hier, liebe Leserinnen und Leser: Lest dieses Buch!
Ich wünsche Euch einen schönen Freitagnachmittag!
Seid ganz herzlich gegrüßt
Bine
Dschinns, geschrieben von Fatma Aydemir, erschienen im Hanser Verlag:
- Dschinns: Roman Shortlist Deutscher Buchpreis 2022
- Produktart: ABISBOOK
- Farbe: Brown
- Aydemir, Fatma (Autor)
Letzte Aktualisierung am 2024-11-10 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API