Ich sehe die beiden noch vor mir, als wäre es gestern gewesen. Sie kamen von der Schule, erst der Sohnemann, später das Tochterkind; standen vor der Haustüre, halb auf ihren Rädern sitzend, den Finger auf der Klingel, auf dem Gesicht ein Ausdruck von Freude, Verwunderung, Verwirrung. Corona ist nun nicht mehr weit weg, sondern ganz nah.
Wir haben ab Montag keine Schule mehr, es wurde durchgesagt, dass wir alle unsere Hauptfächer-Sachen mit nach Hause nehmen sollen.
Der Mann und ich hatten dies zwar schon geahnt, dass es so kommen würde – wir alle sprachen doch schon seit Tagen von nichts anderem mehr – aber die Gewissheit erhielten wir erst am Morgen des 13. März 2020. Freitag der 13.! Was für ein schwarzer Humor. Ab jetzt ist Schluss.
Von da an blieben wir zu Hause. Alle blieben zu Hause.
Mittlerweile war ja auch schon so ziemlich alles abgesagt. Der Abschlussball der Tanzschule, die Geburtstagsfeier vom Sohnemann, die Goldhochzeit-Feier meiner Eltern, die Leipziger Buchmesse, die lit.Cologne,…
Unser Leben – von heute auf morgen ein anderes. Anfangs noch aufregend, neu, ein bisschen spannend, euphorisches Wir-Gefühl. Wir schaffen das! Wir bleiben zu Hause! Wir nehmen Rücksicht! Wir sitzen alle im selben Boot!
Mittlerweile ist es fast schon Normalität. Was wiederum verrückt ist! Haben wir uns in den ersten Monaten doch immer gefragt, wann kommt die Normalität zurück?
Ein Jahr ist seitdem vergangen. Ein ganzes Jahr geprägt durch Abstand, Lockdown, Teil-Lockdown, Lockerungen, Masken tragen, Ungewissheit, Verwunderung, Angst, Rückzug, Unbeschwertheit, Corona. Wir sind zusammen gerückt und waren doch alleine.
Ich habe in diesem Jahr noch nie so viel oder so oft:
- Nachrichten gehört, gelesen, gesehen, konsumiert.
- Eine Jogginghose getragen. Ich besaß bis dato gar keine Jogginghose.
- Serien geguckt.
- Regelmäßig, aber selten, dafür ziemlich strukturiert Lebensmittel eingekauft.
- Am Herd gestanden und Mittagessen für vier Personen gekocht.
- Lebensmittel eingefroren und wieder aufgetaut.
- Im Garten gearbeitet.
- Mit Freundinnen per Videokonferenz gequatscht.
- Pläne über den Haufen geworfen.
- Das Wort Corona ausgesprochen.
Manchmal denke ich, ich träume. Das darf doch alles nicht wahr sein? Und dann schalte ich das Radio oder den Fernseher ein und mir wird schlagartig bewusst: Ja, die ganze Welt wird beherrscht von einem Thema, von diesem Virus.
Es ist eine Berg- und Talfahrt der Gefühle.
Von “wir schaffen das” über “wir machen es uns gemütlich, wie schön” und “ich will das nicht mehr” bis hin zu “irgendwann ist es weg, dann ist wieder alles gut” ist alles dabei. Im letzten Jahr habe ich viel gehofft und mir gewünscht, habe mich geärgert und aufgeregt, war ganz entspannt und optimistisch und dann wieder… ach, ich weiß nicht.
Uns geht es gut. Das habe ich in den letzten 12 Monaten unendlich oft gesagt. Man wird ja dauernd gefragt: Geht es es Euch gut? Wie geht es Euch gerade? Wie läuft es, mit dem Homeschooling, mit dem Blog, mit dem Familienleben? Uns geht es gut. Echt. wir haben keinen triftigen Grund zu jammern. Und trotzdem möchte ich manchmal jammern.
2021 ist das Jahr der Entscheidung.
Das habe ich neulich gelesen. Schaffen wir es dieses Virus in den Griff zubekommen, einen großen Teil der Menschen gegen Corona zu impfen und einen ablehnenden Teil der Menschheit davon zu überzeugen, wie gut und wie wichtig Impfungen sind?
Schaffen wir es wieder Vertrauen zu fassen? In die da oben, die Politiker, die uns seit einem Jahr versuchen aus dieser Pandemie zu manövrieren? Die durchaus Fehler gemacht haben – aber, Entschuldigung, gibt es hier irgendwen, der schonmal so eine Situation meistern musste?
Schaffen wir es, die die immer nur Kritik üben, immer dagegen sind, immer alles in Frage stellen, zu überzeugen, wie wichtig dieses Abstand-halten ist und warum wir das alles tun und nicht tun?
Schaffen wir es Vertrauen in den Impfstoff zu fassen? Nicht jede Nachricht auf die Spitze zu treiben, sondern erstmal abzuwarten, offen zu sein, einfach Vertrauen zu haben? Ich tue das! Ich nehme alles, was sie mir anbieten. Her damit! Sofort!
Die Welt, wie wir sie kannten, die löste sich im letzten Jahr in Luft auf.
Was macht das mit uns? Diese Frage habe ich mir schon letztes Jahr im April gestellt. Konsumwahnsinn, Slowbalisierung, die Wissenschaft, unsere eigenen vier Wände, social media, flexible Arbeitszeiten, Meetings im eigenen Wohnzimmer, Distanzlernen, Fenster auf! Wir brauchen Luft… so viele eingefahrene Strukturen, wurden im letzten Jahr komplett aufgebrochen. Einfach so. Peng!, da machste nichts. Geschäfte zu, Schule zu, Restaurants zu. Wenn Du noch am Leben teilhaben willst, dann musst Du jetzt flexibel sein. Dich neu sortieren, offen sein für Alternativen.
Es war ein verrücktes, aber auch ein schönes Jahr.
Der Mensch hat ja die schlechte Angewohnheit, sich meist nur an das Negative, das Doofe zu erinnern. Aber ich erinnere mich gerne auch an die schönen Momente zurück.
Im Mai letzten Jahres kam die Welt wieder ein bisschen in Schwung. Der Frühling, der Sommer stand vor der Türe. Wir treffen wieder Freunde, immer draußen, immer auf Abstand; sitzen mit Nachbarn in verschiedenen Gärten. Wir fliegen nach Kreta. Zwei Wochen vor Abflug einen Urlaub zu buchen – das war vorher unvorstellbar für uns. Wir verbringen ein traumhaftes Wochenende in Holland – die beste Schnapsidee ever. Die Kinder dürfen nach den Sommerferien wieder in der Schule, anfangs mit Maske, dann ohne, dann wieder mit. Dazwischen hier und dort Quarantäne. Irgendwann findet auch wieder Sport statt. Draußen, Corona – konform. Ja, es war wirklich ein schöner Sommer. Mit Einschränkungen, die uns aber eigentlich nicht weh taten.
Und dann erhielten wir die Rechnung.
Anfang November machten wir uns startklar für einen ruhigen und einsamen Winter. Einen Winter auf der Couch, gemütlich, heimelig. Auch schön. Erst Teil-Lockdown, dann komplette Lockdown. Keine Weihnachtsmärkte und Weihnachtsfeiern, kein fröhliches Anstoßen mit Glühwein. Nichts. Aber auch in dieser Zeit gab es schöne Momente. Anstrengend fand ich nur diese ständigen Entscheidungen. Dürfen wir das? Sollen wir das? Einen Ausflug machen? In die Stadt fahren? Den Arzttermin vereinbaren?
Die dritte Welle – klebrige Ernüchterung
Nun steht der Frühling wieder vor der Türe, aber leider auch die dritte Welle. Im Februar war ich noch frohen Mutes, die Zahlen gingen langsam runter, die Impfungen starteten. Und jetzt? Ernüchterung und Erkenntnis, dass wir noch lange nicht durch sind mit dieser Corona Pandemie. Das – muss ich zugeben – macht mich ein bisschen wahnsinnig. Ich will das nicht mehr. Ich will wieder einen schönen, einen freien Sommer. Und wenn schon kein Sommer wie früher, dann bitte einen Sommer, wie 2020.
Kommende Woche dürfen die Kinder wieder in die Schule. Wechselunterricht, kleinere Klassen. Ich freue mich für die beiden. Endlich wieder Freunde in echt sehen. Und dann sagt der Herr Wieler, dass sich immer mehr Kinder anstecken und ich denke nur: Scheiße.
Ich habe überhaupt keine Ahnung, kein Gefühl, wie die nächsten Wochen werden. So ein bisschen Frühling-Aufbruchsstimmung macht sich breit und dazwischen die komplette Ernüchterung. Ein klebriges Gefühl, dass ich abschütteln möchte.
Wat willste machen? Füße still halten, Zähne zusammen beißen, nicht die Hoffnung aufgeben. Was anderes bleibt uns doch nicht übrig.
Ich bin am Ende meiner Gedanken und auch am Ende mit meinem Latein. Ein weiterer Eintrag in meinem persönlichen Corona-Tagebuch und mit Sicherheit nicht der letzte Eintrag.
Habt ein schönes Wochenende. Lasst Euch nicht wegwehen! Bleibt gesund. Passt auf Euch auf.
Liebe Grüße
Bine
PS.: Das muss noch gesagt werden. Dies sind meine ganz persönlichen Gedanken, die mich, die uns vier betreffen und umtreiben. Ich weiß, dass es anderen weitaus schlechter geht; dass sie nicht jammern, weil sie wieder Freunde treffen wollen, sondern, weil sie Angst um ihre Existenz haben, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll.
14 Kommentare
Hallo Bine,
genauso ist und war es und wie lange wird es noch so bleiben?
Ich unterstreiche jeden Gedanken von dir!
Es kommt wie es kommt, wie oft haben wir das schon gesagt seit letztem Jahr?
Aber die Warterei wird zäher, klebriger und macht immer mehr müde!
Jetzt warten wir auf die Impfung. Wann?Immer wieder der Wunsch und die Hoffnung
für alle: gesund bleiben!
LG Renate
Liebe Renate,
herzlichen DANK für Deinen Kommentar! Ja, man wird müde und auch ein bisschen mürbe mit der Zeit, ne?
Alles Gute wünsche ich Dir!
Liebe Grüße, Bine
Hey Bine,
Uns geht es genauso gut ( oder schlecht, je nachdem aus welcher Sicht ;)) Nein, ich bin „zufrieden“; den Umständen entsprechend.
Was mich mürbe macht: dieses ständige Hin und Her….. und dann doch plötzlich wieder ganz anders ;(
Was war ich froh, als es hieß: nein, in Hessen gehen die Kinder nicht vor den Osterferien in die Schule . Und dann kurze Zeit später, Achso bieten wir doch mindestens 1 Tag an. Wofür?
Die Kinder haben so lange durchgehalten, viele sind mittlerweile organisiert und klar mit dem neuen Schulalltag, um dann für einen Tag ( in unserem Fall 2x einen halben Tag *augenroll*) da wäre es jetzt auch nicht mehr darauf angekommen. Aber wie gut, dass bei Inzidenz 100 dann doch wieder davon abgesehen wird ( vielleicht, denn mancherorts wurde auf 200 erhöht…. clever, die steigenden Zahlen mit einzubeziehen….. aaargh!)
Außerdem gibt es Schulen , die den Begriff „mindesten“ der Verordnung gleich so auslegen , dass sie in den normalen (wenn auch Stundenreduziert, aber jeder weiß, das Virus wird erst ab Stunde xy gefährlich) Präsenzunterricht gehen ( alle Kinder, alle Klassen – beruhigend bei einer Inzidenz von >120 )
Jetzt wird den Kindern und Eltern suggeriert, dass „etwas Normalität“ passiert, die meisten freuen sich vielleicht darauf und in der nächsten Woche heißt es vielleicht: ach, uppsi, geht ja vielleicht doch nicht. Ähm, organisiert euch doch nochmal neu um…….. Jeder stellt fest, dass Kinder besonders belastet sind und gleichzeitig sollen ständig neue Infos verarbeitet und umgesetzt werden….
Das nervt und ist -zumindest aus meiner persönlichen Perspektive- das Anstrengendste, dann lieber klare Verhältnisse und gut ist. DAS kann nämlich auch einfach Alltag sein ;)
Nun gut, vielleicht ist der Zeitpunkt so kurz vor der Wahl natürlich reiner Zufall *grübel*
Liebe Grüße und positive mind :)
Liebe Nadine,
ich weiß genau, was Du meinst. Aber auch ich habe überhaupt keine Lösung für dieses Problem parat. Bleiben die Kinder zu Hause, drehen die Kinderärzte am Rad, weil so viele Kinder mit dem Homeschooling nicht klar kommen, in weniger guten Verhältnissen leben,… gehen die Kinder in die Schule, drehen wieder andere durch, weil es doch eigentlich nicht nötig ist. Wie Du’s machst, machste es falsch. Diese Gedanken machen mich kirre – und ich muss noch nicht mal eine Entscheidung treffen ;-) Hier ist nun Wechselunterricht – also 5 Tage Schule und dann erstmal Osterferien. Und dann bin ich gespannt, wie es weitergeht.
Alles Gute Dir und Deinen Lieben!
Bine
Liebe Bine, deine Worte sind so treffend und beschreiben im Großen und Ganzen auch meine Stimmung und Gefühle. Und ich finde es völlig ok wenn man zwischen durch das Bedürfnis hat zu jammern – auch wenn es einem im Vergleich zu anderen wirklich gut geht. Jeder hat in dieser verrückten Welt sein Päckchen zu tragen und jeder geht anders damit um.
Ich wünsche Dir und deiner Familie das Beste
Gruß Tina
Liebe Tina,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar… ich sehe es so wie Du. Jeder hat das Recht zu Jammern, denn jeder trägt ein anderes Päckchen. Ich bin froh und dankbar, dass unser Päckchen nicht all zu schwer ist… aber nun ja. Manchmal sind’s auch einfach nur Hormone :-)))
Ich wünsche Dir und Deinen Lieben auch nur das Beste!
Liebe Grüße, Bine
Liebe Bine,
Du sprichst mir mal wieder aus dem Herzen! Danke für Deine Worte und die durchaus positive Sicht auf die Dinge!
Herzlichst
Sara
Und ich danke Dir für Deine nette Rückmeldung auf meinen Artikel, liebe Sara!
Liebe Grüße, Bine
Hallo Bine, ich kann alle Deine Worte nur unterstreichen. Ich finde das ganze nur noch zum K….. Meine Kinder (EF und 1. Jahr Ausbildung am Berufskolleg) dürfen noch nicht mal in die Schule, die Jüngere nur für Klausuren mal eben schnell, davor/danach weiter Onlineunterricht, weil die Schule zu wenig Räumlichkeiten hat um die Kurse aufzuteilen. Bei der Großen war nie die Rede zur Rückkehr zum Präsenzunterricht. Auf Termin shoppen gehen macht auch keinen Spaß, ich kann das nur spontan. Ich bin geimpft, aber was nützt es mir, wenn nicht genug andere geimpft sind? Ich muss mich weiterhin zweimal die Woche bei meinem Arbeitgeber testen lassen, sonst gibt es kein Gehalt. Und das ist alles andere als angenehm. Ich habe es einfach nur satt, :-(
LG, Britta
Nein, nichts ist gerade angenehm, liebe Britta. Mir schrieb gerade ein andere Leserin über Instagram, dass sie es ganz schlimm findet, dass die Kinder wieder in die Schule müssen. Es ist eine furchtbar vertrackte Situation, denn man kann es nie allen recht machen. Ich verstehe Dich! Ich verstehe die andere Leserin.
Terminshoppen habe ich nicht ausprobiert. Hätte schon Lust, dann auch wieder nicht.
Ich freue mich jedenfalls für Dich, dass Du schon eine Impfung bekommen hast!
Alles Gute Dir und Deinen Lieben!
Liebe Grüße, Bine
Eine treffende Zusammenfassung. Wir waren das ganze Jahr im lockdown, als pflegende Angehörige kein Außenkontakt, nur Homeoffice, kein Urlaub-weder im Inland noch im Ausland- und trotz aller Bemühungen ist der Vater im Dezember an Corona erkrankt, vielleicht angesteckt beim Fahrdienst zur Dialyse, oder die Mutter hatte das Virus aus einem eigenen Krankenhausaufenthalt mitgebracht. Er verstarb nach drei Wochen Krankenhaus ohne Besuchsmöglichkeit.
Liebe Swuuj,
mir fehlen die Worte.
Ich sende Dir mein allerherzlichstes Beileid.
Ganz liebe Grüße
Bine
Es war ganz interessant das Ganze in Deutschland von hier aus zu beobachten… dass ihr im Sommer in Urlaub gefahren seid und einen “fast” normalen Sommer hattet, war für uns hier sehr schwer nachvollziehbar (meine Familie musste ihren Besuch bei mir absagen, weil hier gar nichts “okay” war zu dem Zeitpunkt)… nun fühlt es ich fast an, als habe sich das Blatt ein wenig gewandelt, seit unter Biden die Impfung sehr stark vorangetrieben wird und ich hoffe sehr, dass wir bald alle die Möglichkeit haben geimpft zu werden… damit dann endlich und wirklich ein wenig Normalität einkehrt.
Es war in der Tat ein Wechselbad der Gefühle und ein Auf und Ab mit den Inzidenzwerten über die letzten 12 Monate… hier wurde ja auch leider nicht an einem Strang gezogen in den verschiedenen Bundesstaaten (bei euch z.T. ja auch nicht), was die ganze Sache sicher noch in die Länge gezogen hat.
Aber im großen Ganzen bin ich dankbar dafür, wie wir die letzten 12 Monate gemeistert haben… andere hatten es sicherlich schwerer.
Das stimmt, liebe San! Ich habe umgekehrt ja auch immer in Eure Richtung geschaut… und tatsächlich hört man momentan mehr Positives aus den USA, als bei uns. Ich freue mich sehr, dass Euer neuer Chef da jetzt mal ordentlich durchgreift. ;-)
Und auch hier bin ich eigentlich frohen Mutes, dass wir im Sommer dran sind, aber wer weiß das schon so genau.
Jedenfalls gebe ich Dir recht – auch ich bin dankbar, wie gut wir doch durch die letzten 12 Monate gekommen sind.
Liebe Grüße, Bine