Selma ist eine wundervolle Frau; sie ist nicht nur klug und fürsorglich, sie liebt auch über alles Mon Chéri und allein deshalb liebe ich Selma. Was ich an der alten Dame aus dem Westerwald nicht so gut finde: sie träumt manchmal von einem Okapi und wenn das passiert, dann stirbt jemand. Daraufhin bricht das Chaos aus, denn alle haben Angst vor dem Tod und tun plötzlich die verrücktesten Dinge- sie verstecken sich, sie bewegen sich nicht mehr, sie schreiben Abschiedsbriefe.
Was man von hier aus sehen kann
In diesem Dorf im Westerwald wohnen Menschen, die alle irgendwie miteinander verbunden sind. Sie wissen viel übereinander und sind sehr neugierig- aber das ist nicht negativ zu bewerten. Im Gegenteil! Das Zusammenleben dieser Menschen, die wir über die Jahrzehnte begleiten und die so wunderbar von Mariana Leky porträtiert werden, gehören zusammen, stehen füreinander ein, geben sich Geborgenheit.
Selma ist Luises Oma und Elsbeths Schwägerin. Elsbeth ist ein bisschen irre mit ihrem abergläubischen Gehabe. Der Optiker drängt sich nie in den Vordergrund, ist aber immer da. Er erklärt Luise und Martin die Welt und liest Selma die geschenkten Bildbände vor. Luise kann sich auf ihre Eltern nicht verlassen – ihr Vater will raus in die Welt, die Mutter hadert mit sich und ihrem Leben – und so verbringt Luise die meiste Zeit bei ihrer Oma Selma, wenn sie nicht gerade im Buchladen arbeitet. Ihr bester Freund Martin leidet unter den durch zu viel Alkohol verursachten Wutausbrüchen seines Vaters, der jedoch irgendwann ganz zahm und friedlich wird und seine Zuversicht in der Bibel wiederfindet. Die mürrische Marlies sitzt den lieben lang in Unterhosen in ihrem Haus, der Einzehändlicher spielt nur eine Nebenrolle, das Reh, das niemals sterben wird auch, dafür tritt irgendwann der junge Mönch in Luises Leben.
Was soll das alles?- werdet Ihr Euch fragen und ich kann nur antworten- das kann ich Euch nicht erklären. Ihr müßt es lesen, um zu verstehen und ihr werdet wahrscheinlich, so wie ich, anfangs verwirrt sein und Euch fragen, warum ich Euch dieses wunderbare Buch ans Herz lege. Aber irgendwann werdet Ihr es merken, werdet mir zustimmen, dass dies ein lesenwertes Buch ist.
Entweder man erliegt ihrem Zauber oder der Funke springt einfach nicht über.
Was man von hier aus sehen kann füllt das Herz mit Ironie und Zuneigung, mit Liebe und Leben, mit Geborgenheit und Wärme und ich möchte fast sagen, dass mir die Leute, die auf Amazon eine negative Bewertung abgegeben haben, weil sie mit dem Buch so gar nichts anfang können, fast ein bisschen leid tun, denn sie haben scheinbar keinen Sinn für leise Töne und eine fast schon märchenhafte Geschichte. Aber das sage ich natürlich nicht laut, denn ich möchte niemandem zu nahe treten.
Das ist es, was Bücher mit uns machen- entweder man erliegt ihrem Zauber oder der Funke springt einfach nicht über.
ZITAT AUS DEM BUCH: Palm zitierte Bibelstellen, der Optiker dachte Dinge zusammen, die nicht zusammengehörten (Kiesel und Frisuren, Orangensaft und Alska), und Marlies klebte das ohnehin undurchsichtige Fenster in ihrer Haustür mit Packpapier zu. Ich räumte das immer noch unausgepackte Regal, das Frederik mir vor vier Jahren geschenkt hatte, von einer Zimmerecke in die andere. Die Tochter des Bürgermeisters und Bauer Häubels Urenkel bekamen das sechste Kind und ich eine Brille, und dann kam die totale Sonnenfinsternis.
Es passieren schreckliche Dinge in dieser Geschichte und doch ist sie heiter.
Und melancholisch, aber auch witzig und dann wieder skurril. Auf jeden Fall ist sie klug, einfühlsam, faszinierend und ein bisschen poetisch.
Mariana Leky beschreibt die Menschen in diesem Dorf ganz genau und auf eine sehr liebevolle Art und Weise; sie läßt die Zeit langsamer vergehen, denn niemand hat es eilig dort… und so wurde ich beim Lesen der Geschichte um Luise, Selma, Elsbeth, dem Optiker und allen anderen meist ganz ruhig und konnte mich von einem auf den anderen Moment entspannen.
Wir konnten alles Mögliche mit der Liebe. Wir konnten sie mehr oder weniger gut verstecken, wir konnten sie hinter uns herziehen, wir konnten sie hochleben, durch alle Länder der Welt tragen oder in Blumengebinde verstauen, wir konnten sie in die Erde legen und in den Himmel schicken. All das machte die Liebe mit, langmütig und biegsam, wie sie war, aber verwandeln konnten wir sie nicht.
Ihr habt’s schon gemerkt, ich brauche Euch nicht mehr sagen, dass ich Euch diese Geschichte ans Herz lege.
Ich wurde verzaubert, Ihr vielleicht auch?
Liebe Grüße, Bine
- Leky, Mariana (Autor)
Letzte Aktualisierung am 2024-11-16 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API
5 Kommentare
Liebe Bine,
deine Kritik spricht mir voll aus dem Herzen und ich unterschreibe sie hundertprozentig.
Bei mir ist es oft so, wenn jemand ein Buch empfiehlt, weil es so eine “wundervolle Sprache” hat, dann denke ich: Oh je, bestimmt ist es dann inhaltlich total langweilig oder altbacken. Ein schlimmes Vorurteil, ich weiß :-).
Und deswegen muss ich an dieser Stelle Abbitte leisten für die vielen Male, an denen ich dies dachte, und sagen: “Was man von hier aus sehen kann” hat so eine wunderbare Sprache, einfach einen ganz einzigartigen Ton – und außerdem liebenswerte Charaktere und eine bittersüße Handlung, die einen fast atemlos warten lässt, wann das Okapi wieder durch Selmas Träume galoppiert. Und hoffen, dass es möglichst nicht mehr galoppiert, weil es dann wieder jemanden “erwischt”, aber andererseits wäre dann die Geschichte auch eine ganz andere, und vermutlich langweilig oder altbacken, wer weiß…
Schwer zu empfehlen, dieses Buch!
Liebe Grüße
Regina
Das ist toll, daß Du es empfiehlst – habe es kürzlich gekauft und nun wartet es auf meinem eReader aufs Gelesenwerden… Nicht mehr lange!
Ich LIEBE LIEBE LIEBE dieses Buch! Eines der allerschönsten, die ich in den letzten Jahren gelesen habe — voller Wärme, Ironie, Lebenslust und geschrieben in einer wunderbaren, ganz unprätentiösen Sprache. Absolute Leseempfehlung!
Und wie schön, dass es Dir auch so gut gefällt, liebe Bine ;-)
Es ist noch einmal schöner, wenn Du es als Hörbuch hörst. Die Sprecherin hat eine so angenehme Stimme, dass ich ganz hin und weg war. Für mich ist es auch eines der schönsten Bücher, die ich gelesen bzw. gehört habe.
Es ist ganz selten, dass ich ein Buch noch einmal bzw mehrmals lese, aber diese gehört definitiv dazu.
liebe Grüße und eine schöne Woche
Steffi
Ich fand das Buch (Hörbuch) besser als ich erwartet habe.
Man kann auch echt nicht erklären, was genau an der Geschichte so schön ist, aber alles zusammen hat so eine wunderbare Atmosphäre dass man es einfach genießt.